28.11.2023 | 19:30 | Mahlers Kindertotenlieder | Premiere auf YouTube
Das XXXVIII. Mini-Konzert umfasst diesmal gleich fünf Lieder: die Kindertotenlieder, die Gustav Mahler von 1901 bis 1904 nach Texten von Friedrich Rückert komponiert. hat. Der Liedzyklus geht am 28. November 2023 online auf YouTube. Gesungen wird der Liederzyklus von Idunnu Münch (Mezzosopran), sie wird am Klavier begleitet von Nils Basters.
Aufbau: Nun will die Sonn' so hell aufgehn | Nun seh' ich wohl, warum so dunkle Flammen | Wenn dein Mütterlein tritt zur Tür herein | Oft denk' ich, sie sind nur ausgegangen | In diesem Wetter, in diesem Braus.
Nachdem Gustav Mahler in den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnten ausschließlich Lieder nach Texten aus „Des Knaben Wunderhorn“ komponiert hatte, wandte er sich im Sommer 1901 Friedrich Rückert zu. Sehr ungewöhnlich erscheint dabei auf den ersten Blick die Wahl der „Kindertotenlieder“, die der fränkische Dichter und Orientalist 1834 nach dem Tod zweier seiner Kinder als zutiefst persönliche Sammlung von weit über 400 Trauergedichten niedergeschrieben hatte. Denn im Gegensatz zu Rückert hatte Mahler zu diesem Zeitpunkt kein eigenes Kind verloren – bis zur ersten Begegnung mit seiner späteren Frau Alma Schindler sollten noch einige Monate vergehen. Allerdings war ihm der Tod von Kindern aus seiner eigenen Familie nur allzu bekannt: Von seinen dreizehn Geschwistern lebten damals nur noch drei. Von entscheidender Relevanz für Mahlers Textwahl war aber eine lebensgefährliche Erkrankung im Februar 1901 und die dadurch bedingte intensive Auseinandersetzung mit dem Problem des Todes. Der Dirigent Bruno Walter hatte den gerade genesenden Komponisten damals besucht: „Er war älter, milder und weicher geworden und eine tiefernste Ruhe war über sein Wesen gebreitet. Ich erzählte ihm einige Jahre später einmal, wie ergreifend diese Veränderung auf mich gewirkt hätte; ‚ja, damals habe ich etwas gelernt‘, erwiderte er, ‚aber es gehört zu den Dingen, über die man nicht sprechen kann‘.“ Und Walter ergänzt: „Ich begriff, dass er die Nähe des Todes gespürt hatte.“
Mahler brachte 1901 zunächst drei seiner „Kindertotenlieder“ zu Papier; mit der Komposition von „Nun seh’ ich wohl“ und „In diesem Wetter“ vollendete er den Liederzyklus im Sommer 1904. In Rückert fand er einen Dichter, dessen Einstellung in vielen Aspekten mit seiner eigenen weltanschaulichen und religiösen Geisteshaltung übereinstimmte. Das gilt insbesondere für den festen Glauben an die Fortdauer der Existenz nach dem Tode – eine Zuversicht, durch die in Gedichtsammlung wie Vertonung die Trauer über den Verlust der Kinder gemildert wird.
Die fünf Lieder des Zyklus folgen einer subtil angelegten Dramaturgie: So verwendet Mahler im ersten Lied in allen vier Strophen für das instrumentale Nachspiel ein ausdrucksvolles Thema, das die sogenannten „Entsühnungsmotive“ aus dem 3. Aufzug von Wagners „Parsifal“ zitiert. Der Gralsritter Gurnemanz spricht dort am Karfreitag davon, dass „die entsündigte Natur heut ihren Unschuldstag erwirbt“. Unmittelbar im Anschluss an dieses Thema lässt Mahler in der Orchesterfassung einzelne Töne des Glockenspiels erklingen – ein Instrument, das er in seinen Werken oft als Symbol für die Musik der Engel einsetzte. Im Oktober 1900 hatte er etwa zu seiner Freundin Natalie Bauer-Lechner über die Glockenspieltöne im „Urlicht“ der 2. Symphonie gesagt, er denke sich „von dem Schlag des Glöckleins an, die Seele im Himmel“. Bereits zu Beginn des Liederzyklus wird also die trostspendende Vorstellung angedeutet, die verstorbenen Kinder hätten, wie die entsündigte Natur in „Parsifal“, „heut ihren Unschuldstag“ erworben und befänden sich als Engel (oder bei den Engeln) im Himmel.
Im zweiten Lied greift Mahler die Themen der Engel und der Ewigkeit in neuer Realisierung wieder auf, indem er – den Theorien des von ihm geschätzten Philosophen Gustav Theodor Fechner folgend – die Augen, von denen Rückerts Verse sprechen, mit Gestirnen und Engeln identifiziert. Hingegen bricht im dritten Lied die Klage des Vaters, der sein geliebtes Töchterchen nicht mehr an der Seite der Mutter sieht, ohne Milderung hervor. Offenbar hat Mahler dieses am meisten von Trauer erfüllte Lied, in dessen Text jegliches Wort der Tröstung fehlt, bewusst genau in der Mitte seines Zyklus plaziert. Die bei „Wenn dein Mütterlein“ besonders deutlich erkennbare Neigung zu einer linear-polyphonen Stimmführung geht übrigens auf Mahlers intensive Beschäftigung mit der Musik Johann Sebastian Bachs im Frühjahr und Sommer 1901 zurück. Gegenüber Natalie Bauer-Lechner schwärmte er von der Größe des „Bachschen Genius“, dem „Wunder seiner Polyphonie“ und bekannte: „Unsagbar ist, was ich von Bach immer mehr und mehr lerne!“
Während das vierte Lied mit seinem Beginn in einer Dur-Tonart, seinem schnelleren Tempo, den so charakteristischen, „warmen“ Sextenparallelen und dem Gedichttext („Sie sind uns nur voraus gegangen, wir holen sie ein auf jenen Höhn im Sonnenschein.“) schon das Bild einer hoffnungsvollen Vision malt, zeigt sich die ungeachtet aller Tragik letztlich doch tröstliche Lösung im Schlusslied. Dieses beginnt mit einer schmerzvollen und stellenweise unheimlichen Musik, die das stürmische Wetter widerspiegelt, von dem der Text spricht. Am Ende der vierten Strophe reißt die Sturmmusik ab: Das Tempo verlangsamt sich, die Lautstärke wird stufenweise reduziert, und die Tonart geht von d-Moll nach D-Dur über. Besonders auffällig sind jedoch (in der Orchesterfassung) die Töne des Glockenspiels, die zum ersten Mal seit dem Ende von Lied 1 erklingen. Hier versinnbildlichen sie zusammen mit einem melodischen Zitat aus dem „Urlicht“ die Ankunft der Seelen der verstorbenen Kinder im Himmel, wo sie nun, wie der Text mitteilt, „von Gottes Hand bedecket“ in Frieden ruhen. Wenn schließlich im Nachspiel eine vollkommen neue melodische Wendung hervortritt, die unverkennbar an das Hauptthema des Finales der 3. Symphonie anklingt, so erweist sich dieses Zitat als ein geradezu ideales Schlusswort zum Zyklus der „Kindertotenlieder“. Denn Mahler verbindet dadurch die bei Rückert wie auch in seiner Vertonung beschriebene Erlösung der verstorbenen Kinder mit dem Glauben an die Transzendierung des Todes durch die Liebe und mit der Vorstellung eines als Liebe verstandenen Gottes – Ideen, die sein Denken und Schaffen gleich einem Leitgedanken durchziehen und sich insbesondere im Finale der Dritten manifestieren. So hatte er seiner Freundin Anna von Mildenburg 1896 mitgeteilt: „Ungefähr könnte ich den Satz auch nennen ‚Was mir Gott erzählt!‘ Und zwar eben in dem Sinne, als ja Gott nur als ‚die Liebe‘ gefasst werden kann.“ (Alexander Odefey)
Idunnu Münch, geboren Ende 1993 in München, studierte in München an der Hochschule für Musik und Theater sowie der Theaterakademie August Everding und war Mitglied des Opernstudios der Staatsoper Stuttgart in den Spielzeiten 2015/16 und 2016/17. Bereits in jungen Jahren erhielt sie musikalische Früherziehung, Ballettstunden, Geigenunterricht sowie Klavierunterricht.
Sie wirkte bei nationalen und internationalen Festivals mit und sang unter anderem zuletzt an der Opéra national du Rhin, dem Teatro alla Scala in Mailand und der Komischen Oper Berlin. Zudem ist sie seit dieser Spielzeit Harewood Artist an der English National Opera in London, wo sie bereits 2018 ihr Hausdebüt gab.
Das Konzertrepertoire der Mezzo-Sopranistin umfasst unter anderem Werke von Bach, Beethoven, Brahms, Händel, Haydn, Knézêk, Mozart sowie Haydns Arianna a Naxos. Der Liedgesang bildet für Idunnu Münch ebenfalls einen wichtigen Schwerpunkt ihres künstlerischen Wirkens. So erarbeitete sie sich bereits ein umfangreiches Lied-Repertoire von Komponisten wie Beethoven, Berg, Brahms, Grieg, Hirshbein, Mahler, Mozart, Schubert, Schumann, Weinberg und Wolf.
Wichtige Stationen:
Salzburger Festspiele 2013 u. 2014, Heidelberger Frühling 2015 u. 2016, Staatsoper Stuttgart 2015-2018, Verbier Festival 2017, Opéra national du Rhin 2017/18, Teatro alla Scala 2018, Komische Oper Berlin 2019, English National Opera 2018/19 u. 2020, BBC Proms 2019, Stars and Rising Stars 2019, BR Paradisi Gloria Reihe 2014 u. 2015
Auszeichnungen und Preise:
Hochbegabtenförderung am ehemaligen Richard-Strauss-Konservatorium ab dem 12. Lebensjahr, Hochbegabtenförderung (Jungstudium) an der Hochschule für Musik und Theater München ab dem 14.Lebensjahr, Finalistin beim 39. Bundeswettbewerb Gesang Berlin, Stipendiatin des Richard-Wagner-Verbandes 2013, der Haack-Stiftung, des Young Singers Project der Salzburger Festspiele 2014, der Lied-Akademie des internationalen Musikfestivals Heidelberger Frühling 2015 und der Verbier Festival Academy 2017
Der Hamburger Pianist Nils Basters wechselt gerne die Schublade. Ob als Liedbegleiter, Kammermusiker, Performance-Künstler oder Pädagoge - auf unterschiedlichste Weise bringt er Musik den Menschen nahe. Kammermusik und Liedbegleitung sind Nils Basters` große Leidenschaft, in diesem Zusammenhang verbindet ihn u.a. eine regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Klarinettisten Roman Gerber.
Nils Basters studierte in Hamburg und Wien bei den Professoren*innen Anna Vinnitskaya und Martin Hughes. 2019 schloss er sein Konzertexamen bei Prof. Péter Nagy an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Stuttgart ab. Weitere Anregungen erhielt er u. a. von Emmanuel Ax und Brigitte Fassbender.
2013 gewann Nils Basters den 1. Preis beim Elise Meyer-Wettbewerb Hamburg und war Semifinalist beim Concours International De Piano Clara Haskil. 2016 erhielt er im Rahmen des Maritim-Wettbewerbs den 1. Preis für Klavierbegleitung.